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31.03.2021

Diana Gutjahr: «Es ist ein Privileg, ein Landei zu sein»

Die Arbeitslosenquote steigt, und nach dem zweiten wirtschaftlichen Stillstand wegen der Corona-Pandemie versucht die Wirtschaft Tritt zu fassen. Unternehmerin und Nationalrätin Diana Gutjahr beleuchtet mit Werner Fleischmann den sich abzeichnenden Strukturwandel und die Wechselwirkungen zwischen Arbeits- und Immobilienmarkt.

Diana Gutjahr hat die Qualitäten der Wohnregion Thurgau so richtig schätzen gelernt, insbesoners seit sie als Parlamentarierin und Vorstandsmitglied des Schweizerischen Gewerbevereins häufiger in Bern oder anderswo in der Schweiz unterwegs ist. Sie bringt ihre Überzeugung auf den Punkt: «Es ist ein Privileg, ein Landei zu sein.» Die Unternehmerin, Thurgauer SVP-Nationalrätin, Vizepräsidentin des kantonalen Gewerbeverbandes und Präsidentin des Branchenverbands metall.suisse ist unter anderem selber Immobilienbesitzerin und kennt die Bedürfnisse der Privateigentümer.

Innovation kommt zu kurz
Natürlich nimmt auch sie den Strukturwandel mit Besorgnis wahr. Gerade in der Corona-Krise stelle sie eine Tendenz fest: Es habe sich eine gewisse Bequemlichkeit auf die verschiedensten Lebens- und Wirtschaftsbereiche ausgedehnt. Das Büro im eigenen Heim berge auch die Gefahr, dass Innovationen in Teamarbeit auf der Strecke bleiben und sich Arbeitskräfte ein Stück weit isolieren. Gutjahr spricht aus eigener Erfahrung, weil sie selber zehn Tage in Quarantäne verbringen musste. Es müsse deshalb ein grundsätzliches Ziel sein, «die Menschen zu begeistern, sich im Firmenteam und am Wohnort zu engagieren». Werner Fleischmann macht sich ebenfalls dafür stark. Er sieht im Homeoffice lediglich eine ergänzende Möglichkeit. Um den Erfahrungsaustausch zu fördern, habe er in seinem eigenen Unternehmen geeignete zusätzliche und grössere Räumlichkeiten geschaffen, wo die Mitarbeitenden geschützt arbeiten und trotzdem gemeinsam Ideen entwickeln können.

Unerwünschte Signalwirkung
Die vermehrt feststellbare Trägheit nimmt Gutjahr in ihrer politischen Tätigkeit ebenso wahr: So habe sich etwa die nationalrätliche Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur (WBK), der sie angehört, für eine Art «bedingungsloses Grundeinkommen» für Kulturschaffende ausgesprochen. Dies bedauert sie sehr, denn: «Die Problematik liegt darin, dass eine derartige Massnahme tendenziell auf andere Bereiche ausgedehnt wird. Das hat eine unerwünschte Signalwirkung: Bei der jüngeren Generation wird eine nicht wirklich gewünschte Haltung ausgelöst. Man will nicht mehr ehrgeizig sein und hat im schlimmsten Fall Unterstützung des Staates zugute. Diese Grundhaltung passt mir ehrlich gesagt nicht.» 

Arbeits- und Immomarkt interagieren
Gutjahr und Fleischmann sind überzeugt, dass man gerade heute die positiven Wechselwirkungen zwischen Arbeits- und Immobilienmarkt bewusster im Fokus haben muss. Es erstaunt Diana Gutjahr etwa nicht, dass Liegenschaften im Thurgau bei Zuzüglern gefragt sind. Dies wiederum spielt ihr als Unternehmerin in die Hand: Arbeitskräfte entdecken Mostindien je länger desto mehr als Wohnkanton. Viele Pendlerinnen und Pendler nähmen wegen den noch bezahlbaren Immobilienpreisen sowie attraktiven Lebenshaltungskosten und der hohen Lebensqualität längere Arbeitswege in Kauf, sagt Werner Fleischmann. Er stellt insbesondere fest, dass in Regionen, wo attraktive Arbeitsplätze angesiedelt sind, mehr Wohneigentum gesucht wird. Deshalb hofft Diana Gutjahr, dass sie in Zukunft wieder vermehrt gut ausgebildete Fachkräfte mit Ehrgeiz und Leistungsbereitschaft rekrutieren kann, die in der Region verwurzelt sind. 

Arbeitsplätze erhalten und schaffen
Sie will sich denn auch mit aller Kraft dafür einsetzen, über die Branchen hinweg Arbeitsplätze zu erhalten und zu schaffen. Deshalb hält sie auch die duale Berufsbildung für besonders wichtig. Als Personalverantwortliche lässt sie im eigenen Unternehmen den Berufsnachwuchs aus strategischen Gründen selber ausbilden. Seit 2012 führt Diana Gutjahr zusammen mit ihrem Mann die Ernst Fischer AG in Romanshorn – ein typisches Familienunternehmen im Bereich Stahl- und Metallbau mit rund 80 Mitarbeitenden. Sie ist dankbar, dass sie trotz Einschränkungen auch im letzten Jahr einen befriedigenden Geschäftsverlauf verzeichnen konnte: «Wir konnten unter Einschränkungen immer arbeiten. Dank einer seit vielen Jahren vorausschauenden konservativen Finanzierungshaltung mussten wir in der Vergangenheit keine Hilfe vom Staat in
Anspruch nehmen.» Ihre Kenntnisse im eigenen Unternehmen und auf dem Immobilienmarkt bringt sie auch in ihrem politischen Engagement ein: Mit Sorge verfolgt sie Entscheide, die zu Parallelgesellschaften führen könnten, weil es immer breitere Wirtschafts- und Bevölkerungskreise gebe, die relativ unbesorgt vom Staat Geld beziehen.

Beschleunigter Strukturwandel
Die Corona-Krise beschleunigt den Strukturwandel insbesondere bei Läden, Gewerbe- und Restaurantliegenschaften. Diana Gutjahr ist überzeugt, dass gerade zur Stärkung des örtlichen Gewerbes persönliches Engagement von möglichst vielen Menschen gefragt sei. Denn zum Erhalt von Einkaufsstrassen könnten beispielsweise auch Feste und andere vielfältige Aktivitäten beitragen, was sie selber erlebt habe. Manchmal werde sie gefragt, warum sie sich das alles antue. Doch sie betont, dass sie dieses vernetzte Engagement im Betrieb und in der Politik sehr erfülle. Damit könne sie direkt das politische und gesellschaftliche Leben mitgestalten. Werner Fleischmann ergänzt, dass dies wiederum positive Auswirkungen auf eine Ortschaft und auf Geschäftsimmobilien habe: «Es gilt, sich bietende Chancen zu ergreifen und – wenn nötig – Umnutzungen zu finden und zu ermöglichen. Wenn eine Käuferschaft attraktive Rahmenbedingungen vorfindet, sind solche Liegenschaften derzeit sogar noch recht gut zu verkaufen.» Der Thurgau biete ein gutes Umfeld dazu.

Düsteres Wirtschaftsbild
Hintergrund der Diskussion von Nationalrätin und Unternehmerin Diana Gutjahr und Liegenschaftsexperte Werner Fleischmann
über den Strukturwandel bilden die aktuellen Einschätzungen im «Thurgauer Wirtschaftsbarometer»: Danach sind die Arbeitslosenquoten in den Thurgauer Städten zwischen Januar 2020 und Januar 2021 deutlich gestiegen. Je weiter ostwärts man geht, desto höher die Quote: In Arbon liegt sie bereits bei fünf Prozent. Zwar ist die Lage im Baugewerbe nach wie vor robust und die Industrie spricht mehrheitlich von einer befriedigenden Geschäftslage. Hingegen blicken Detailhandelsbetriebe sorgenvoll in die Zukunft. Insbesondere im Thurgauer Gastgewerbe stieg die ohnehin schon überdurchschnittliche Arbeitslosigkeitsquote besonders stark.

    Werner Fleischmann zu Besuch in Diana Gutjahrs Stahl- und Metallbauunternehmen, wo die beiden Wechselwirkungen zwischen Arbeits- und Immobilienmarkt erörtern.
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