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01.12.2020

Immobiliennews: Corona hat bestehende Trends beschleunigt

Die Corona-Krise beschleunigt wirtschaftliche Veränderungen, stellt Adriel Jost fest. Die Zentralbanken seien stark gefordert. Liegenschaftsexperte Werner Fleischmann ist überzeugt: «Die schleichende Geldentwertung zeigt sich an den steigenden Immobilienpreisen.»

Adriel Jost, er ist Partner und Chefökonom des Wirtschaftsberatungsunternehmens WPuls, will nah am Puls der Wirtschaft sein, diese unabhängig analysieren und so seine Kunden für die Zukunft vorbereiten. Er kennt dabei auch die «andere Seite», war er doch mehrere Jahre bei der Schweizerischen Nationalbank (SNB) in verschiedenen Stabsfunktionen für das Direktorium tätig. Dabei hat er nicht nur die Sonnen und Schattenseiten von Geldpolitik und Konjunktur erlebt, sondern auch die Entwicklung des Immobilienmarkts mit all seinen systemischen Risiken. Auch wenn er heute nicht mehr für die SNB tätig ist, bleibt für ihn die bange Frage, was mit dem Schweizer Franken in einer Welt passiert, «in der nicht alle Staaten gleich vernünftig unterwegs sind.»

Zwei kritische Momente
«Die Corona-Krise hat viele bestehende globale Trends beschleunigt», sagt Jost und macht zwei hauptsächliche kritische Momente aus – einerseits das Ausmass der Fiskal und Geldpolitik, andererseits das Tempo des Strukturwandels. Die Entwicklung einer Pandemie vorherzusagen, sei reine Spekulation. Hingegen liessen sich deren Auswirkungen analysieren: «So erscheint es uns klar, dass wir erst am Anfang der eigentlichen Rezession stehen und die nächsten Monate und Quartale wirtschaftlich anspruchsvoll bleiben.»

Zentralbanken stossen an Grenzen
Weil die Zentralbanken in der Coronakrise noch bedeutender geworden seien und auch in der Fiskalpolitik aushelfen müssten, kämen sie mehr und mehr an ihre Grenzen. Das habe sich in den USA im Frühling 2020 gezeigt: «Die USA sind haarscharf an einer Katastrophe vorbeigeschlittert, weil für ihre Staatsanleihen keine Käufer gefunden wurden. Also hat das Fed, die amerikanische Nationalbank, eingegriffen, zusätzliche Liquidität geschaffen und anschliessend auch selber Staatsanleihen gekauft. Mittelfristig wird das nicht gut enden», mahnt Jost. Er zitiert den Schweizer Nationalbankchef Thomas Jordan, der auf seine – beruflich bedingte – diplomatische Art vor «schlechtem Geld» warnt. Soweit kann es kommen, so Jost, weil derzeit die Regierungen massiv Haushalte und Firmen unterstützen und die Zentralbanken dieses politische Gebaren finanzieren müssen. Sie stünden unter Zugzwang und seien faktisch nicht mehr unabhängig: «Die Währungen werden davon nicht verschont bleiben.» Es stelle sich die Frage, wann die Inflation kommt und wann das Vertrauen in die Währungen verloren geht. «Ein spezielles, folgenschweres Ereignis könnte dieses Szenario auslösen, so dass es praktisch unmöglich ist, den Zeitpunkt dafür zu prognostizieren.»

Krise erfordert Geduld
Beschleunigt wird von Corona auch das zweite kritische Momentum, der Strukturwandel. Dieser sei in jeder Krise und jeder Rezession zu beobachten, sagt Jost: «In dieser Krise fällt er aber besonders schnell aus.» Es sei langfristig nicht sinnvoll, einen Strukturwandel aufzuhalten. Man dürfe die negativen Seiten jedoch keinesfalls verniedlichen. Gerade in der Gastronomie, im Detailhandel oder der Flugindustrie sei die Entwicklung wirklich dramatisch. «Diese Krise erfordert Geduld», ist er überzeugt. Gewisse Auswirkungen würden verzögert noch spürbar sein und teuer werden. Er denkt an die Banken, die wohl in vielen Konkurs-Gefahrenfällen im Moment «zögern, die Reissleine zu ziehen». Ausserdem betont er aber, dass es in einem Strukturwandel immer auch Gewinner gebe. Er denkt dabei beispielsweise an den Online-Handel.

«Musik spielt weniger im Westen»
Sowohl Jost als auch Fleischmann sind sich bewusst, dass man sich in den nächsten Jahrzehnten wärmer anziehen muss. Fleischmann: «Sind wir doch ehrlich: In den letzten Jahrzehnten ging es praktisch immer nur aufwärts.» Jost: «Die Schweiz war bis jetzt privilegiert.» Indes: Der Ökonom mahnt, es werde härter. Denn die Musik werde angesichts des wirtschaftlichen Aufschwungs Chinas und Indiens in Zukunft weniger im Westen spielen.


Adriel Jost
Dr. Adriel Jost ist mit 35 Jahren einer der jüngeren Schweizer Chefökonomen und seit diesem Jahr Partner und Geschäftsführer der WPuls AG, einem Unternehmen im Bereich Wirtschaftsanalyse und Investmentberatung. Seine Firma ist aus der Beratungsfirma Wellershoff & Partners hervorgegangen, wobei Unternehmensgründer Prof. Klaus Wellershoff dem neuen Unternehmen als Verwaltungsratspräsident treu bleibt.

Lesen Sie mehr dazu in der aktuellen Ausgabe des Ostschweizer Immobilienmagazins Winter 2020>> 

    Werner Fleischmann und Adriel Jost öffnen das Fenster zur Zukunft des  Immobilienmarkts und mahnen, «dass man sich in den nächsten Jahrzehnten wärmer anziehen muss».
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