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24.03.2023

Kreuzlingen – «Grossstadt mit kleinstädtischem Charakter»

Was unterscheidet Kreuzlingen vom Rest des Thurgaus? Dies wollte Liegenschaftsexperte Werner Fleischmann von Thomas Niederberger wissen: Der Stadtpräsident von Kreuzlingen über die «DNA» seiner Stadt.

«Der Ausländeranteil gehört zur ‹internationalen Identität› unserer Stadt, mit 55 Prozent ist es der höchste in der Deutschschweiz», sagt Thomas Niederberger. Der Stadtpräsident erklärt, dass die Zuwanderung in den letzten 20 Jahren zu einem überdurchschnittlichen Bevölkerungswachstum geführt habe. Was aber sind die Standortvorteile, die in Kreuzlingen – trotz Verkehrsengpässen und Einkaufstourismus – offenbar überwiegen?

«Insgesamt ein Riesengewinn»
Zugezogene Kreuzlingerinnen und Kreuzlinger müssen es wissen: Gemäss Niederberger nennen sie immer wieder die hohe Lebensqualität der ganzen Region als Grund für den Zuzug. «Sie schätzen die Kombination des Sees mit dem Seepark als grösste Parkanlage auf der Schweizer Bodenseeseite und des waldreichen Seerückens.» Die verschiedenen kulturellen und Unterhaltungsangebote sowie die öffentlichen und privaten Bildungs- und Gesundheitszentren tragen laut Niederberger sehr viel zur Standortattraktivität bei, wobei die Grenze weniger trennenden als vielmehr verbindenden Charakter habe: «Konstanz und Kreuzlingen sind eine Stadt – und wir verstehen uns auch so. Wir begegnen uns auf Augenhöhe.» Natürlich habe die Grenze auch Nachteile, doch letztlich bedeute genau dieses grenzüberschreitende Miteinander «insgesamt einen Riesengewinn». Das haben auch viele Konstanzerinnen und Konstanzer entdeckt, ergänzt Fleischmann, weil einerseits in Stadt und Region Kreuzlingen interessante Arbeitsplätze in Bildungs-, Gesundheits- und Industriebereichen angeboten würden und weil andererseits die Wohnraumknappheit und Immobilienpreissteigerungen ennet der Grenze noch ausgeprägter seien.

Agglomerationsimpulse nutzen
Genau deshalb soll den Bemühungen für grenzüberschreitende Infrastruktur und Planung neues Leben eingehaucht werden, sagt Niederberger und verweist auf das Agglomerationsprogramm. Dieses soll zusammen mit Konstanz 2025 beim Eidgenössischen Bundesamt für Raumentwicklung eingereicht werden. Fleischmann weiss um die Dringlichkeit der gemeinsamen Gestaltung der Zukunft und bemerkt, dass auf der Schweizer Seite weitere Gemeinden enorm gewachsen seien: «Da in Kreuzlingen die Wohnmöglichkeiten rar wurden, sind die Käufer vor allem nach Tägerwilen ausgewichen. Dort kann man von den Vorzügen der benachbarten Stadt ebenfalls profitieren.»

Verkehrsanbindung hilft, Verkehr behindert
Werner Fleischmann, Inhaber von Fleischmann Immobilien, ist überzeugt, dass die «sehr gute Verkehrsanbindung» nach Zürich, sowohl mit dem öffentlichen als auch mit dem Strassenverkehr, wesentlich zur erfreulichen Entwicklung beigetragen habe. Damit, so Niederberger, sei aber auch eine starke Bautätigkeit verbunden gewesen, die sich insbesondere akzentuiert habe, seit 2002 die bilateralen Verträge mit der EU in Kraft gesetzt und die Personenfreizügigkeit ermöglicht wurden. Die durchgehende Autobahnverbindung Richtung Singen nähre die Befürchtung, dass es Mehrverkehr geben dürfte. Dies müsse im Auge behalten werden, sagt Niederberger und bezieht sich auf Szenarien der Verkehrsstudie Hochrhein-Bodensee. Fleischmann sieht heute schon die verstopften Strassen in Kreuzlingen als grosse Behinderung, speziell zu den Spitzenzeiten. Er versteht nicht, wieso die Entlastungsstrasse bei Bätershausen oberhalb Kreuzlingens nicht konsequenter in Angriff genommen wird. Niederberger gibt zu bedenken, dass diese sogenannte «Spange Bätershausen» gemäss kantonalem Konzept nur in Verbindung mit der Bodensee-Thurtal- und der Oberlandstrasse gebaut werden könne: «Daran sind wir sehr interessiert, aber ich verstehe auch die kleineren Gemeinden auf dem Seerücken, die gegen diese Strassenprojekte sind, weil sie Mehrverkehr befürchten.» Er sei aber zuversichtlich, dass im Zusammenschluss der Regionalplanungsgruppe Regio Kreuzlingen und mit dem Agglomerationsprogramm zukunftsfähige, für alle verträgliche Lösungen entwickelt werden können. Der Kanton sei nach dem kürzlichen Bundesratsentscheid über die Zukunft der Nationalstrassen verhalten optimistisch und bereits aktiv geworden, um zur Verbesserung der Verkehrssituation in der Region Kreuzlingen beizutragen.

In wenigen Monaten rechtskräftig
Niederberger weiss indes: «Manchmal wird es den Menschen hier fast ein bisschen zu viel.» Deshalb habe man sich mit der Ortsplanungsrevision zum Ziel gesetzt, einerseits neues Verdichtungspotenzial für Investitionen in Immobilien zu ermöglichen, andererseits Grün- und Freiflächen im Siedlungsgebiet zu erhalten. Er sei froh, dass die Ortsplanungsrevision nun vom Kanton genehmigt worden und bereits die Übergangsbestimmungen in Kraft gesetzt worden seien. Er gehe davon aus, dass die neuen Rahmenbedingungen bis auf einige Ausnahmen in den kommenden Monaten rechtskräftig zur Anwendung kommen dürften: «Ich rechne damit, dass wir die Inkraftsetzung etwa zwei Monate im Vorfeld ankündigen können.» Mit der neuen Gesetzgebung für die Ortsplanung werde die Grundlage für verschiedene grössere Projekte geschaffen. Im Fokus stünden etwa das Löwenareal mitten im Zentrum Kreuzlingens in Nähe zum Einkaufszentrum Ceha, die geplante Gewerbe- und Wohnüberbauung am Helvetiaplatz, Mehrfamilienhäuser im Gebiet Wolfacker oberhalb des Stadtrands oder das Reka-Feriendorf am See an der Grenze zu Bottighofen. «Insgesamt können mehrere hundert Wohneinheiten geschaffen werden, und es wird auch möglich, höhere Häuser zu bauen», konkretisiert Niederberger.

Wachstum hat sich verlangsamt
Das Wachstum, so Niederberger, habe sich zwar verlangsamt und der Leerwohnungsbestand sei in Kreuzlingen mit einer Quote von unter zwei Prozent auf einem guten Niveau. Doch er sei überzeugt, dass das hauptsächliche Alleinstellungsmerkmal von Kreuzlingen weiterhin Anziehungskraft ausstrahlen werde: «Zusammen mit Konstanz sind wir eine Grossstadt, dennoch haben wir unseren urbanen, kleinstädtischen Charakter bewahrt.»

Immobilienpreise dürften sinken
Kreuzlingens Stadtpräsident Thomas Niederberger ist sich bewusst, dass die Immobilienpreise aufgrund des Booms in der Region deutlich gestiegen sind: «Ich werde immer wieder mit den teuren Bodenpreisen konfrontiert. Aber ich stelle fest, dass es in den letzten Jahren auch wieder möglich wurde, Wohnraum für den Mittelstand zu bauen.» Ausserdem sei es erfreulich, dass Wohneigentum in den umliegenden Gemeinden noch eher verfügbar sei. Werner Fleischmann gibt zu bedenken, dass eine weitere Verknappung des Wohnraums kontraproduktiv wäre. Zur Gefahr der Verknappung trage auch bei, dass immer grössere Wohnflächen beansprucht werden: «Das entspricht natürlich nicht der Idee des verdichteten Bauens.» Ebenfalls geht Fleischmann davon aus, dass die Preise in Zukunft nicht mehr ganz so hoch sein werden. Für gewisse periphere und zweitklassige Lagen rechne er sogar mit einer Preisreduktion.

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    Thomas Niederberger und Werner Fleischmann im Zentrum Kreuzlingens, wo neue Wachstumsimpulse erwartet werden.
    Thomas Niederberger und Werner Fleischmann vor der Stadtverwaltung Kreuzlingen: In nächster Nähe soll mitten im Zentrum auf dem Löwenareal Wachstums- und Verdichtungspotenzial erschlossen werden, wofür ein Gestaltungsplan in Erarbeitung ist.
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